Die riskante Wette des Ottobock-Chefs

2024-07-24
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(c) Cornelius Welp, welt

Hans Georg Näder, der extrovertierte Chef und Eigentümer des deutschen Weltmarktführers für Prothesen, musste den Börsengang schon zwei Mal absagen. Im dritten Anlauf muss es klappen, sonst droht Ungemach. Ottobocks Engagement in Russland wirft zudem Fragen auf.

Die drei elektrisch angetriebenen Sattelschlepper haben sich schon vor Wochen auf den Weg nach Paris gemacht. Geladen hatten sie einige große Maschinen und mehr als 20.000 Ersatzteile. Mit denen bestückt das deutsche Unternehmen Ottobock während der Ende August beginnenden Paralympischen Spiele 15 Werkstätten, in denen die Athleten ihre Ausrüstung reparieren können.

Der Hersteller von Produkten wie Prothesen, Rollstühlen sowie Bein- und Armschienen unterstützt das Sportereignis schon seit 1988. Dabei wirbt er mit speziell für Athleten gefertigten Erzeugnissen, das Firmenlogo prangt prominent auf der Ausrüstung vieler deutscher Teilnehmer.

So wird sich das Unternehmen auch in Paris als Musterbeispiel eines Weltmarktführers aus der deutschen Provinz präsentieren. Die Zentrale im rund 20.000 Einwohner zählenden Duderstadt östlich von Göttingen steuert ein Firmengeflecht mit zuletzt knapp 9000 Beschäftigten in 60 Ländern und knapp 1,5 Milliarden Euro Umsatz. Seit Anfang des Jahres befindet sich die Firma wieder komplett in Familienhand.

Das soll nicht so bleiben: Nach dem Rückkauf der Anteile eines Finanzinvestors will Ottobock nach zwei vergeblichen Versuchen möglichst bald den Sprung an die Börse schaffen. Kürzlich veröffentlichte Zahlen zeigen jedoch, dass das ein beschwerlicher Weg werden dürfte. Auch das fortgesetzte Engagement in Russland wirft Fragen auf.

Ohne Hans Georg Näder wäre die Firma in ihrer heutigen Form undenkbar. Der Nachkomme des Namensgebers lenkt die Geschicke von Ottobock seit fast 35 Jahren, daran hat sich auch mit seinem Wechsel an die Spitze des Verwaltungsrats wenig geändert. Dabei ist der 62-Jährige zweifellos einer der buntesten Farbkleckse in der deutschen Unternehmenswelt, und das nicht nur wegen seiner ausgeprägten Liebe zu schillernden Seidenschals und Luxusyachten.

Einerseits gilt er als Prototyp des nimmermüden Unternehmers, der sich ständig für neue Ideen begeistert und mit einer Stiftung wohltätige Projekte fördert. Gleichzeitig beschreiben ihn frühere Mitarbeiter als sprunghaft, manche Topmanager blieben nicht mal ein Jahr im Amt.

Veritabler Fehlgriff?

Wechselhaft verlief auch die 2017 eingegangene Liaison mit dem Finanzinvestor EQT. Der hatte sich mit einem Anteil von 20 Prozent an Ottobock beteiligt, Ziel der Partnerschaft sollte der Börsengang sein. Als 2022 der zweite Anlauf abgeblasen wurde und auch der Weiterverkauf der EQT-Anteile scheiterte, wurde in der Finanzbranche gelästert, dass sich der Investor einen veritablen Fehlgriff erlaubt habe.

Anfang des Jahres fand sich dann aber doch ein Käufer. Über die Dachgesellschaft, in der er seine unternehmerischen Aktivitäten gebündelt hat, übernahm Näder das Unternehmen wieder komplett. Den Rückkauf der Anteile finanzierte er, indem er sich 1,1 Milliarden Euro bei Kreditfonds besorgte.

Fällig sind diese erst am Ende der Laufzeit, angesichts hoher Zinsen und einer schon vor der Transaktion mageren Eigenkapitalquote der Holding von 14 Prozent dürfte das nur mit einem Börsengang realistisch sein. Den strebt Näder weiterhin an. Man sei dazu bereit, nur das Umfeld habe 2022 nicht gepasst.

An der Einschätzung könnten bislang unbekannte Ergebnisse einer im Reich der Orthopädie zentralen Gesellschaft zweifeln lassen. Die Ottobock SE listet in ihrem Abschluss für das Jahr 2022 allein 154 unter ihr angesiedelte Tochtergesellschaften auf. Ihre geschäftliche Lage stellt sich weit weniger beeindruckend dar. So stieg der Umsatz innerhalb eines Jahres von 476 auf 508 Millionen Euro – „das Ziel eines Wachstums von 13 bis 16 Prozent wurde damit verfehlt“, heißt es.

Als Gründe dafür nennt der Bericht vor allem die damals immer noch anhaltenden Wirkungen der Corona-Pandemie. Deutlich stärker als der Umsatz wuchsen die Schulden, die Verbindlichkeiten gegenüber Banken stiegen 2022 von 762 auf 963 Millionen Euro.

Das Jahresergebnis kletterte zwar von null auf 51 Millionen Euro, ohne Erträge aus Währungsgeschäften und die Auflösung von Rückstellungen aus einem Anreizsystem für Führungskräfte wäre jedoch ein Verlust angefallen. Belastend wirkten sich dabei auch Ausgaben von 12,4 Millionen Euro für den abgesagten Börsengang aus.

Ottobock erklärt, dass der Abschluss nur einen Teil der geschäftlichen Entwicklung des Konzerns repräsentiere. Dieser habe seinen Umsatz 2022 um mehr als zwölf Prozent auf 1,3 Milliarden Euro gesteigert. Dazu hätten auch Übernahmen beigetragen, die der Hauptgrund für die höhere Verschuldung seien. Profitabel arbeitete auch die Dachgesellschaft nicht. Nach Steuern verbuchte die Näder Holding einen Verlust von 14 Millionen Euro.

Ein positives Ergebnis von insgesamt zwölf Millionen Euro trugen dagegen die Aktivitäten in Russland bei, darunter auch ein Fertigungsstandort in der Industriestadt Toljatti. Dass Ottobock nach Beginn des Kriegs in der Ukraine die Geschäfte aufrechterhalten hat, begründet die Firma auch mit humanitären Erwägungen. Auf Anfrage teilt Ottobock mit, dass das Geschäft rückläufig sei, die Anzahl der Gesellschaften habe sich von sieben auf vier reduziert. Dabei konzentriere man sich auf zivile Versorgungen. „Ottobock arbeitet nicht mit dem russischen Militär zusammen und nimmt an keinen Ausschreibungen des russischen Militärs teil“, heißt es.

Insider berichten, dass die Geschäfte schon früher nicht unproblematisch waren. So soll es vor Jahren strafrechtliche Verfahren gegen Mitarbeiter von Otto Bock gegeben haben, deren Anlass sollen überhöhte Verrechnungspreise bei Geschäften in Russland gewesen sein.

Die auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte Schwerpunktstaatsanwaltschaft Braunschweig bestätigt auf Anfrage, dass es diese Verfahren gegeben habe, sie seien abgeschlossen. Ottobock erklärt, es habe keine „gerichtlichen Auseinandersetzungen und auch keine gerichtliche Verurteilung von Mitarbeitenden gegeben“. Die Ermittlungen hätten sich nicht auf Verrechnungspreise in Russland bezogen, sie seien eingestellt worden.

Ein Mann im Unternehmen ist mit dem russischen Markt besonders gut bekannt. Der seit Ende 2022 amtierende Chef Oliver Jakobi wechselte laut seinem Profil im Karrierenetzwerk LinkedIn bereits 1998 nach Moskau, auch nach seiner Beförderung zum Leiter der Region Europa und Mittlerer Osten behielt er die russische Hauptstadt neben Duderstadt als zweiten Standort. Wie das Unternehmen mitteilt, ist Jakobi letztmalig im Februar 2022 in Moskau gewesen. „Seine Tätigkeiten übt er bereits seit 2020 – mit Beginn der Corona-Krise – überwiegend in Deutschland aus“, heißt es. Dort gibt es auch genug zu tun.