Dieser Brief an die Mitarbeiter lässt den Streit bei Ottobock eskalieren

2024-08-18
Lesezeit: 4 min

(c) von Cornelius Welp, welt

Beim Prothesenhersteller Ottobock schwelt ein Konflikt zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat. Ein interner Brief an die Belegschaft zeigt nun, wie aufgeheizt die Stimmung wirklich ist. Es geht um den Vormarsch der Gewerkschaft im Unternehmen – und einen Mäuse-Comic.

Der interne Brief der Geschäftsführung an die rund 9.000 Mitarbeiter des Medizintechnikunternehmens Ottobock ist mit „Respekt ist keine Einbahnstraße“ überschrieben. Sein Inhalt klingt wenig versöhnlich. Grund dafür ist das Agieren des Betriebsrats, dessen „aggressive, polemische Kommunikation“ und „permanente negative Stimmungsmache gegen die Geschäftsführung und das Unternehmen“ seien „nicht angemessen.“

Das Management sei „jetzt an einem Punkt angekommen, an dem wir kaum noch eine Möglichkeit der konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat sehen“, heißt es in dem Schreiben vom 12. Juli, das alle vier Geschäftsführer von Ottobock unterschrieben haben und das WELT vorliegt.

Der Brief ist die jüngste Eskalationsstufe eines Konflikts, der sich bei dem Hersteller von Prothesen und Rollstühlen aus dem niedersächsischen Duderstadt zur Unzeit zugespitzt hat. Denn eigentlich geht es bei Ottobock gerade darum, alle Kräfte zu bündeln. Für die „gesamte Mannschaft“ heiße es „mit Volldampf voraus“, verkündete Eigentümer Hans-Georg Näder kürzlich in einem Interview.

Nachdem seine Familie Anfang des Jahres 2017 vom Finanzinvestor EQT übernommene Anteile zurückgekauft hat, soll in absehbarer Zeit der bereits zweimal geplante und dann wieder abgesagte Börsengang gelingen. Ein Selbstläufer wird das nicht. Zwar wächst das Unternehmen von Jahr zu Jahr deutlich, gehemmt wird es jedoch von schwacher Profitabilität und hohen Schulden.

Eine Sprecherin von Ottobock wollte sich zu einer Anfrage von WELT zu dem Brief nicht äußern. Im Umfeld des Unternehmens heißt es, dass die Geschäftsführung auch auf Beschwerden von Mitarbeitern reagiert habe, die sich von der Gewerkschaft unter Druck gesetzt fühlten.

Auch ein Vertreter der IG Metall, die erst seit einigen Wochen dabei, ihren Einfluss bei Ottobock auszudehnen, kommentierte das Schreiben nicht. Kreise der Gewerkschaft halten Ton und Inhalt des Schreibens für „überraschend“ wie „überzogen“. Womöglich habe man Inhalte „etwas zugespitzt“ dargestellt, die Kommunikation habe jedoch nie den Rahmen des Üblichen verlassen. „Da ist man offenbar besonders empfindlich“, heißt es im Umfeld der IG Metall.

Konkreter Auslöser des Schreibens ist eine Kontroverse über eine Neuregelung von Erfolgsprämien. Die IG Metall verdeutlichte ihre Meinung dazu unter anderem mit einem satirischen Mäuse-Comic, das der Betriebsrat übernahm. Gewerkschaftskreise halten dieses für „völlig harmlos“, für die Geschäftsführung stellen die Bildchen dagegen den „Gipfel der Respektlosigkeit“ dar. Es sei „besonders erschreckend“, so heißt es in dem Brief, dass sich die Arbeitnehmervertretung „von Gewerkschaften die Richtung und Tonalität“ vorgeben lasse.

Die IG Metall spielte bisher in dem Unternehmen kaum eine Rolle, das ändert sich nun. „Für die Geschäftsführung ist das Neuland, die muss da erst mal reinfinden“, sagte ein Gewerkschaftsvertreter kürzlich in einem Interview mit dem „Göttinger Tageblatt“.

Mehrere hundert Ottobock-Beschäftigte der IG Metall beigetreten

Durch die vermehrten Aktivitäten sollen bereits mehrere hundert Ottobock-Beschäftigte der IG Metall beigetreten sein, ein Ziel könnte der Beitritt zu einem Tarfivertrag sein. Auch anderswo freut sich Deutschlands größte Gewerkschaft über Zulauf. 2023 schlossen sich ihr knapp 130.000 neue Mitglieder an – zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Trotz des altersbedingten Abschieds zahlreicher Gewerkschafter blieb deren Gesamtzahl mit rund 2,14 Millionen deshalb nahezu stabil. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi konnte nach Jahren des Aderlasses zuletzt personell sogar wieder leicht zulegen.

Wenn Gewerkschaften ihren Einfluss in Unternehmen ausdehnen wollen, führt das immer wieder zu Konflikten. Auf großen Widerstand stieß die IG Metall zuletzt etwa im Tesla-Werk im brandenburgischen Grünheide, wo sie unter anderem einen Tarifvertrag forderte.

In einer Rede an die Belegschaft soll Konzernchef Elon Musk persönlich vor einer „externen Instanz, deren Interessen vielleicht nicht mit denen von Tesla übereinstimmen“ gewarnt haben. Bei der Betriebsratswahl im März erhielt die IG Metall knapp 40 Prozent der Stimmen. Damit wurde sie zwar zur stärksten Fraktion im Gremium, dominiert wird dieses aber weiterhin von gewerkschaftsunabhängigen Arbeitnehmervertretern.

Auch in vielen Familienunternehmen gelten Gewerkschaften als konfrontativ und sind deshalb traditionell unbeliebt. „Ich empfehle, Ihre Stimme bei der Betriebsratswahl nicht jenen Kandidaten zu geben, die für die Einnahmebilanz einer Gewerkschaft wichtig sind“, schrieb zum Beispiel der Milliardär Reinhold Würth vor zwei Jahren an seine Belegschaft. Zuletzt hat die IG Metall mit Forderungen nach einem kräftigen Lohnplus und einer Vier-Tage-Woche auch Unternehmer wie den Kettensägenproduzenten Nikolas Stihl und Nicola Leibinger-Kammüller, Chefin des Maschinenbauers Trumpf, gegen sich aufgebracht.

Ein Vorwurf lautet häufig, dass die Gewerkschaft im eigenen Interesse ohne Rücksicht auf das Unternehmen agitiere. So sieht es auch die Geschäftsführung von Ottobock. „Wir wünschen uns einen starken Betriebsrat, der gemeinsam mit uns die Zukunft gestaltet und Ideen einbringt, statt zu wettern“, heißt es in dem Brief. Das „komplizierte Verhältnis“ solle nicht zulasten der Beschäftigten gehen. Dem zumindest dürfte auch die Gewerkschaft zustimmen.